Fachforum II – Soziale und emotionale Grundlageneinschließlich Moral und Ethik

Wissenschaftlicher Impuls
Prof. Dr. Joscha Kärtner
Universität Münster
Institut für Psychologie

These 1: Mithelfen stärkt die Entwicklung eines Verantwortungsbewusstseins

Mitzuhelfen, sich um andere zu kümmern und Dinge gemeinsam zu erledigen sind Verhaltensweisen, die ab dem 2. Lebensjahr beobachtet werden können. Diese frühen Eigenschaften können dadurch gestärkt werden, dass die Initiativen der Kinder wertgeschätzt und Routinetätigkeiten (z.B. rund um das Essen und das Aufräumen) gemeinschaftlich verrichtet werden. So erlebt das Kind die Beteiligung an Alltagsroutinen als etwas Positives und den eigenen Beitrag als einen wertvollen Beitrag für die Gemeinschaft.Rahmt man Alltagsroutinen hingegen als notwendiges Übel, das möglichst effizient erledigt werden muss oder indem Einzelne isolierte Teilaufgaben übernehmen, so dass dann mehr Zeit für die Dinge bleibt, die eigentlich wichtig sind oder Spaß machen, lässt man dieses frühe Entwicklungspotenzial in Richtung Eigeninitiative und Verantwortung für die Gemeinschaft ungenutzt.

These 2: Die Entwicklung der Emotionsregulation braucht Struktur im sozialen Miteinander

Zwar spielen Emotionen schon von Geburt an eine wichtige Rolle für das Erleben und Verhalten von Kindern, allerdings dauert es eine ganze Weile, bis Kinder sich ihrer eigenen Emotionen (und der Emotionen von anderen) wirklich bewusstwerden (z.B. „Ich ärgere mich!“). 

Die emotionale Bewusstheit (Schritt 1) ist die Grundlage, auf der Kinder im Vorschulalter die Kompetenzen zur Bewertung (Schritt 2) und zur Regulation (Schritt 3) von Emotionen entwickeln. Bei der Bewertung geht es darum, die Angemessenheit der Emotion in einer bestimmten Situation zu beurteilen und gegebenenfalls die Notwendigkeit zu erkennen, dass die gerade erlebte Emotion reguliert werden muss. Bei der Regulation geht es dann darum, erfolgreich effektive Strategien einzusetzen, um die Emotion zu regulieren. Die Entwicklung der Emotionsregulation ist eine zentrale Entwicklungsaufgabe des Vorschulalters. Die pädagogischen Fachkräfte spielen, neben anderen Bezugspersonen, eine wichtige Rolle dabei, diese Entwicklung durch ihr professionelles Verhalten entwicklungsförderlich zu begleiten. Durch Ko-Bewusstheit, Ko-Bewertung und Ko-Regulation unterstützen sie das Kind dabei, diese Anforderungen zunehmend selbstreguliert zu bewältigen.

These 3: Umgang mit Diversität braucht respektvollen Austausch

Im OECD Lernkompass 2030 werden gegenseitige Achtung und Respekt als zentrale Elemente von Moral und Ethik definiert. Aus dieser Haltung heraus, so die Annahme, erwächst das Interesse an und die Offenheit für Diversität und Vielfalt. Damit verbunden wird im Lernkompass der „Ausgleich von Spannungen und Dilemmata“ als Teilkompetenz der sogenannten „Transformationskompetenz“ beschrieben, die es den Akteuren ermöglicht, mit widersprüchlichen und inkompatiblen Anforderungen und Ansichten umzugehen. Aufgrund der zunehmenden Diversität und Vielfalt erscheint es heute wichtiger denn je, offen und konstruktiv mit Differenzen umgehen zu können. Dafür ist es sehr wichtig, das, was anders ist, nicht per se als defizitär abzuwerten, sondern als mögliche Alternative wahrzunehmen und bestenfalls auch anzuerkennen – auch dann, wenn es nicht mit den eigenen Vorstellungen bzgl. guter Erziehung und optimaler Entwicklung vereinbar ist. Es gibt sehr unterschiedliche Vorstellungen von optimaler Entwicklung und guter Erziehung. Hier offen zu sein, um andere Vorstellungen besser verstehen und ggf. auch akzeptieren zu können, ist auch eine zentrale Forderung unserer Arbeiten zu kultursensitiver Beratung im Bereich frühkindlicher Entwicklung. Neben dieser Offenheit für alternative Werte und Vorstellungen ist jedoch gleichermaßen klar, dass nicht jede Differenz als berechtigte Alternative gelten kann. Es geht also immer auch darum, sich der Grenzen der Diversität im Austausch mit anderen rückzuversichern. Hierbei hilft es, die aus diesem Austausch resultierenden Werte, die nicht zu eng gefasst werden sollten, im Blick zu haben. Der OECD Lernkompass schlägt hier Achtung und Respekt für Andere, Gleichheit und Gerechtigkeit als zentrale Orientierungspunkte vor. 

In diesem Zusammenhang stellt sich heute im Bereich des professionellen frühpädagogischen Handelns, aber auch gesamtgesellschaftlich die Frage, welche Werte und Haltungen ihre Berechtigung als Alternative zu den eigenen Überzeugungen haben (hier sind Offenheit und Diversitätsbewusstsein gefragt!) und welche nicht (aber Achtung: hier ist es wichtig, nicht vorschnell normativ zu urteilen!). Eine grundlegende Herausforderung ist in diesem Zusammenhang die Positionierung im Spannungsfeld zwischen Normativität und Diversitätsbewusstsein. Aber damit noch nicht genug: Kommt man in einem bestimmten Fall über Austausch und Dialog zu dem Punkt, abweichende Werte, Vorstellungen und Haltungen als Alternative anzuerkennen, schließt sich für die Frühpädagogik die Frage an, welche Implikationen diese Differenzen für den Alltag in der KiTa und das eigene professionelle Handeln haben. In manchen Fällen mag es gute Lösungen geben, aber bei unvereinbaren Differenzen braucht es neue Formen des Umgangs mit Diversität, da viele klassische Formen der Konfliktregulierung (Mehrheitsbeschluss ignoriert die Minderheit; einen Kompromiss zwischen unvereinbaren Positionen gibt es nicht) hier nicht mehr 

greifen. Doch vor dieser Herausforderung sollten wir nicht zurückschrecken und uns auf stark vereinfachte und enge normative Positionen zurückziehen. Ein wichtiger nächster Schritt besteht für frühpädagogische Fachkräfte viel eher darin, im Dialog – innerhalb des Teams und mit den Eltern – bezüglich Themen, die ihnen auffallen, den Dialog zu suchen: vielleicht steckt ja – für beide Seiten – eine interessante Idee dahinter, die das, was einem auffällig oder problematisch erscheint, in einem anderen Licht erscheinen lässt!

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